Ist qualitatives Wachstum ohne quantitatives Wachstum möglich?

Ein offener Brief von Christiane Monshausen und Jörg Lüttgau an Harald Welzer:

Lieber Harald Welzer,

die Hauptmotivation für unsere Botschaft an Sie ist eine große Dankbarkeit für Ihren Mut, Ihre persönlichen Erfahrungen als einen Ausdruck der allgemeinen gegenwärtigen Lage öffentlich zur Verfügung zu stellen.

Die Zunahme psychosomatischer Erkrankungen zeigt, wie sehr Menschen oft erst durch körperliche Symptome auf ihre eigentliche Thematik zurückgeworfen werden.

Der Wert von Gegenständen des Konsums relativiert sich, wenn einem bewusstwird, welche Schmerzen wir und unsere Kinder dafür in Kauf nehmen.

Krankheiten sind eine Chance, das Kaputte unseres Systems am eigenen Leib zu erfahren. Und gleichzeitig bedeutet es auch, den Tod in Kauf zu nehmen; denn dem werden wir nicht entkommen. Über die eigene Endlichkeit zu sprechen, liegt uns nicht. Danke dafür, dass Sie es trotzdem tun.

Manche Talkshow ist für den Zuschauer und Hörer schmerzhaft, weil ein echter Dialog selten zustande kommt. So ging es uns bei der Diskussion:

https://petersloterdijk.net/das-philosophische-quartett/ist-die-welt-noch-zu-retten/
„Ist die Welt noch zu retten? Ja, sagt Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher. Projekte für Wohlstand und Wohlfahrt könnten, global gesteuert und auf Interessenausgleich gerichtet, auf Befriedung und langfristige Sicherheit hinwirken. Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer ist skeptisch. Den Grund sieht er vor allem in den dramatischen Klimaveränderungen.“

Die folgenden Gedanken richten sich auf ein Detail, das in der Diskussion untergegangen ist, obwohl es sehr wichtig ist, um eine Verständigung zwischen den Diskussionsteilnehmern zu ermöglichen:

  1. Der Dialog könnte in Gang kommen, wenn man sich intensiver mit dem Begriff „qualitatives Wachstum“ beschäftigt. Sie sehen – unserer Meinung nach – zurecht, dass dieser Begriff oft die Tatsache verschleiert, dass weiteres Wachstum mehr Ressourcenverbrauch bedeutet. Es ist ein Umdenken erforderlich, um den Ressourcenverbrauch (Nicht nur Energie und CO², sondern auch Wasser, Luft, Sand, also alle anderen materiellen Ressourcen, Bodenschätze etc.) einzuschränken.
  2. Franz Josef Rademacher dagegen geht davon aus, wenn wir ihn richtig verstanden haben, dass ohne Verbote eine Veränderung zum besseren erreicht werden könnte, wenn der Ressourcenverbrauch besteuert wird. Die Kreativität von Unternehmern und Verbrauchern könnte so vom umweltschädlichen zum umweltfreundlichen Wachstum umgelenkt werden.

Leider beschäftigte sich die Diskussion beim philosophischen Quartett zu wenig damit, ob es qualitatives, umweltfreundliches Wachstum überhaupt geben kann. Umweltfreundlichere Autos verbrauchen in der Herstellung mehr knappe Ressourcen. Also kann die Lösung nur in weniger Autos bestehen, nicht in mehr umweltfreundlichen Autos. Gibt es überhaupt irgendein Produkt, dass tatsächlich zu einem geringeren Ressourcenverbrauch führen würde, wenn gleichzeitig dadurch weiteres Wachstum angekurbelt wird?

Von materiellen zu immateriellen Lösungen

Unserer Meinung nach kann es qualitatives Wachstum geben. Ja, die ganze Gesellschaft befindet sich schon seit einiger Zeit in einer Entwicklung von der Lösung materieller Probleme hin zu einer Lösung immaterieller Probleme. (Waren ursprünglich die materiellen Probleme dringend, so werden die immateriellen Probleme immer dringender.)

Um verständlich zu machen, was mit immateriellen Problemen gemeint ist, müssen wir etwas weiter ausholen: Wir sind alle noch geprägt von den Jahrtausenden, in denen das Nötigste zum Leben knapp war.

Erst  die Industrialisierung hat die Mehrheit der Menschen in den industrialisierten Ländern von der bittersten Armut befreit. Karl Marx beschrieb, wie im 19. Jahrhundert durch immer geschickteren Einsatz von Kapital und zunehmende Arbeitsteilung die Produktivität extrem gesteigert werden konnte. Zu seiner Zeit war Kapital das knappste Gut.  Kapital war im 19. Jahrhundert der begrenzende Faktor für die weitere Entwicklung. Und wer über dieses knappste Gut verfügte, hatte die größte Macht.

Wir leben aber schon lange nicht mehr in der Situation, dass Kapital knapp ist. Es ist im Überfluss vorhanden, aber wir verhalten uns immer noch so, als ob es knapp wäre. Daraus ergeben sich die Verwerfungen, mit denen wir heute kämpfen.

Wolfgang Mewes zeigte auf, dass man die Probleme in einer Volkswirtschaft verschärft, wenn man die Problemlösungs-Kompetenz nicht auf das aktuell brennendste Problem konzentriert.  Pflanzen brauchen für ihr Wachstum unter anderem Phosphor. Wenn man eine Pflanze bei Phosphor-Mangel mit Phosphor düngt, dann gedeiht sie durch die Düngung. Gibt man ihr aber zu viel davon, dann fängt sie an zu kümmern. In Anlehnung an Justus von Liebig zeigt Mewes, dass man sich nur um den Minimum-Faktor, den knappsten Faktor, kümmern muss, um das Wachstum zu fördern.

Wolfgang Mewes: Qualitatives Wachstum: Der Trend zu immaterielleren Problemlösungen Zwischenzeitlich war im 20. Jahrhundert der Bedarf der knappste Faktor. Wer die Kontrolle über den Bedarf hatte, konnte den Produktionsmittel-Besitzern (den Kapitalisten) die Preise diktieren und trotzdem waren sie dankbar, für den Besitzer der Zielgruppen, den Gatekeeper, produzieren zu dürfen. Wenn es Kapital und damit Produktionsmittel im Überfluss gibt, dann hat der Käufer mehr Macht als der Verkäufer. Allerdings hat der Endkunde, der Konsument, nur theoretisch die Macht, weil er nur in den seltensten Fällen die Zeit und das Wissen hat, das jeweils für seine Bedürfnisse beste Produkt zu finden.

Aldi, Lidl und DM-Markt als Discounter bieten dem Kunden, der preiswerte und trotzdem hochwertige Produkte des täglichen Bedarfs kaufen möchte, eine passende Auswahl von Produkten. Der Produzent wird abhängig von ihnen, da sie ihm (einerseits) den Zugang zu der Masse der Kunden verschaffen. Andererseits drücken die Discounter die Preise. Sie können das, weil viele Hersteller bei ihnen Schlange stehen. Und bereit sind, zu noch niedrigeren Preisen die bisherigen Hersteller zu verdrängen.

Amazon und ebay haben eine ähnliche Gatekeeper-Funktion für fast alle anderen Produkte, die nicht zu den Produkten des täglichen Bedarfs gehören. Andere Verkäufer können ihre Produkte auf Amazon anbieten. Kleine Läden können so ihre Vermarktungsprobleme ohne immense Werbungskosten und ein ausgefuchstes Marketing-Know-how lösen. Allerdings bekommen die Gatekeeper einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Gewinne dieser kleinen Läden oder Verkäufer.

Heute ist Kapital nicht mehr der Engpass. Wer Kapital hat sucht händeringend nach Anlagemöglichkeiten. Wer eine überzeugende Geschäftsidee hat, dem werfen die Kapitalgeber das Geld hinterher. Produzenten und Konsumenten wird zunehmend bewusst, dass immer mehr herstellen und konsumieren unsere Umwelt zerstört.

Solange die meisten von uns in größter Armut lebten war es sinnvoll, immer günstiger und mehr zu produzieren. Heute ist es das nicht mehr der Fall. Wir wollen immer noch besser leben, aber uns dämmert, dass sich etwas ganz grundsätzlich ändern muss.

Innovationskraft ist heute der begrenzende Faktor

Heute ist Innovation der knappste Faktor. Leider verstehen die meisten Unternehmer unter Innovation immer noch in erster Linie technische Innovation. Eine technische Innovation führt aber in den meisten Fällen zu zusätzlicher Produktion von materiellen Produkten, also zu weiterem Ressourcenverbrauch. Was wir heute dringend brauchen: Immaterielle Innovationen. Beispiel: Es geht nicht darum, mehr umweltfreundliche Autos zu produzieren, sondern die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung mit möglichst wenig materiellen Ressourcen zu befriedigen.

Warum muss die Innenstadt unsere Großstädte vollgeparkt sein mit Autos, die 23 Stunden am Tag nur herumstehen? Zumindest in den Städten ist heute  der Besitz eines eigenen Autos keine wirklich intelligente Lösung. Carsharing ist da auf jeden Fall eine intelligentere Lösung. (Intelligenter = immaterieller, deshalb ressourcenschonender, weniger umweltschädlich)

Carsharing ist ein Beispiel, wie mit weniger Materialeinsatz eine qualitativ bessere Lösung geschaffen werden kann. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass mehr Konsum von materiellen Ressourcen in jedem Fall glücklicher macht.

Wolfgang Mewes hat aufgezeigt, dass unserer Gesellschaft sich schon seit langem auf einem Weg befindet, der von der Lösung materieller Probleme zu der Lösung immaterieller Probleme führt. Einst ging es darum, durch gesteigerte Produktion den Hunger und das Frieren im Winter zu beseitigen. Diese materiellen Probleme sind durch die Industrialisierung gelöst worden.

Die Gesellschaft hat gelernt, durch Industrialisierung unsere materiellen Probleme mehr als genug zu lösen. Die entstandenen Überkapazitäten hat man dann durch immer ausgeklügeltere Marketing-Strategien auslasten wollen. Immer angetrieben von den wachsenden Kapitalmengen, die sich weiter vermehren wollen. Früher haben wir gearbeitet, um konsumieren zu können.

Heute sollen wir konsumieren, um arbeiten zu dürfen.  Die Überkapazitäten in der Produktion schreien danach, dass wir mehr konsumieren. Wachstum ist noch immer das Zauberwort der Politik: Wir wollen den Arbeitsplatz nicht verlieren, also produzieren wir mehr und mehr, obwohl es die Zukunft unserer Kinder zerstört.

Die Umweltzerstörung und die dadurch sinkende Lebensqualität haben uns allen vor Augen geführt, dass mehr Konsum von begrenzten Ressourcen nicht die Lösung ist. Wir wissen, dass unsere Art zu Wirtschaften sich drastisch ändern muss. Und zwar innerhalb von maximal zwei Jahrzehnten. Wir müssen heute die Hebel umlegen, weil unsere heutigen Investitionen erst in ein paar Jahren ihre volle Wirkung entfalten werden.

Intelligentere Lösungen sind immateriellere Lösungen

Spirale als Symbol für qualitatives Wachstum Carsharing, und zwar noch intelligenter als heute, vernetzt mit Leihfahrrädern und öffentlichen Verkehrsmitteln, ist ein Bespiel dafür, wie wir unsere Mobilitätsbedürfnisse befriedigen können und gleichzeitig weniger materielle Ressourcen verbrauchen. Aber auch damit ist noch nicht der Gipfel der bereits erkennbaren Tendenz von materiellen Problemlösungen hin zu immer immaterielleren Problemlösungen erreicht. Denn die ständige Zunahme des Verkehrs ist kein Naturgesetz, sondern unter anderem die Folge von wenig intelligenter, ganzheitlicher Stadtplanung.

Hinter dem Bedürfnis nach Mobilität steht das Bedürfnis nach Austausch und Begegnung. Im Mittelalter waren Wohn- und Arbeitsplatz nicht so weit von einander getrennt wie heute. Niemand sollte uns einreden, dass es ein Vergnügen ist, jeden Tag 1 Stunde zwischen Arbeitsplatz und Wohnort zu pendeln. Corona hat uns gezeigt: Vieles lässt sich heute von zuhause aus erledigen. Es kann also intelligentere, also immateriellere Lösungen geben, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen.

Zurzeit besteuern wir Arbeit. Wir sollten aber Ressourcenverbrauch besteuern. Ein Smartphone ersetzt: Ein Telefon, einen Fotoapparat, eine Videokamera, einen Notizblock, ein Diktiergerät, einen Taschenrechner, ein Kursbuch, einen Terminkalender, ein Schachbrett und andere Spielgeräte, ein Navigationsgerät, einen Kompass, eine Stereoanlage etc. Wenn man sich alle diese klassischen Geräte neben einander räumlich ausgebreitet vorstellt, dann wird klar, was es heißt: Wir sind bereits auf dem Weg von materiellen Lösungen zu immateriellen Lösungen. Ein Smartphone wiegt 200 g. Die Geräte, die es ersetzt, wiegen zusammen 200 kg, also 1000-mal so viel!

Der Weg zu immer geistigeren Produkten  ist damit noch nicht zu Ende: Eine Suche in einer Suchmaschine wie Google verbracht so viel Energie wie eine Autofahrt von x Kilometern. Das ist immer noch zu viel. Die Lösung kann aber nicht sein, mehr Auto zu fahren, weil das Internet ja auch die Umwelt zerstört, sondern nach noch intelligenteren Lösungen zu suchen.

Lieber Harald Welzer, Sie legen zurecht den Finger in die Wunde, wenn Sie aufzeigen, dass es nirgendwo in der Natur unbegrenztes Wachstum gibt. Die Vorstellung vom unbegrenzten Wachstum der Wirtschaft ist für jeden, der sich einmal mit der Mathematik von Wachstumskurven beschäftigt hat, absurd. Jedes Ökosystem kippt, wenn etwas darin unbegrenzt wächst.

Von technischen Innovationen zu sozialen Innovationen

Allerdings würde jede Politikerin scheitern, wenn sie Verzicht predigen würde. Wir Menschen streben nach Glück, wir wollen mehr davon. Der Wunsch nach mehr, nach Wachstum, gehört zur menschlichen Natur. Deshalb ist die Frage, ob es qualitatives Wachstum geben kann, von zentraler Bedeutung. Wolfgang Mewes zeigt, dass wir als menschliche Zivilisation schon seit langem auf dem Weg sind, von der Lösung materieller Probleme hin zur Lösung immaterieller Probleme. Die Dynamik in diese Richtung wird durch die Kräfte des Marktes angetrieben.

Damit soll keineswegs gesagt werden, dass der Markt alles richten und der Staat sich aus der Wirtschaft heraushalten soll: Denn die soziale Marktwirtschaft, in der der Staat dafür gesorgt hat, dass Interessen der Schwächeren berücksichtigt werden, hat in Europa zu mehr Lebensqualität geführt als in Amerika, wo eher die Philosophie der freien Marktwirtschaft gepredigt und praktiziert wurde. Sozialer Frieden und eine niedrigere Kriminalitätsrate, eine funktionierende Bildung und Infrastruktur sind Wettbewerbsvorteile.

Soziale Innovationen sind wichtiger als technische Innovationen Der Wettbewerb unterschiedlicher Sozialsysteme ist genauso förderlich wie der Wettbewerb von Betrieben in der Wirtschaft. Es ist allerdings erstaunlich, wie wenig interessiert wir daran sind von anderen zu lernen. Zum Beispiel haben sowohl Österreich als auch die Schweiz, ebenso wie Norwegen, zwar unterschiedliche, aber auf jeden Fall bessere Rentensysteme entwickelt als Deutschland. Es ist erstaunlich, wie wenig die Öffentlichkeit die Politiker drängt, über den Tellerrand hinaus nach besseren Lösungen zu suchen. Und von anderen zu lernen.

Jetzt muss die soziale Marktwirtschaft sich zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickeln. Um dies zu erreichen, sind drei Veränderungen erforderlich:

  1. Die Besteuerung von Ressourcenverbrauch statt der Besteuerung von Arbeit
  2. Ein verändertes Bewusstsein, dass unsere wahren Bedürfnisse ohne Verzicht befriedigt werden können.
  3. Soziale Innovationen sind wichtiger als technische Innovationen

Die Besteuerung der materiellen Ressourcen lenkt die Aufmerksamkeit der Unternehmer hin zu Lösungen, die durch Einsatz von kreativer Intelligenz unsere Bedürfnisse besser befriedigen und gleichzeitig weniger Energie und Material verbrauchen. Ein wachsendes Bewusstsein ist erforderlich, dass eine Verteuerung von ressourcenfressenden Lösungen und eine Verbilligung  von ressourcenschonenden Lösungen kein Verzicht bedeutet, sondern zu einem besseren Leben für alle führt.

Technische Innovationen sind notwendig, aber ohne soziale Innovationen führen sie weiterhin zu mehr Ressourcenverbrauch. Beispiel: Es werden jährlich Milliarden von Euro in der Pharma-Industrie für die Entwicklung neuer Medikamente investiert. Aber für die Entwicklung von Lösungen, die die Ursachen von Krankheiten beseitigen, steht kaum Geld zur Verfügung.

Es ist seit den Entdeckungen von Hans Selye bekannt, dass jede Krankheit aus zwei Faktoren besteht: Einem spezifischen (der nur für eine Krankheit gilt) und einem unspezifischen, der allen Krankheiten gemeinsam ist. Die meisten Pharma-Produkte richten sich auf die Bekämpfung der speziellen Faktoren, auf die Beseitigung der für die jeweilige Krankheit spezifischen Symptome. Das viel wichtigere Problem, die Reduktion von Stress, wird kaum beachtet. Bestrebungen Stress, den gemeinsamen Faktor hinter allen Krankheiten, zu beseitigen, erfahren zu wenig Wertschätzung. Wir lenken unsere Ressourcen überwiegend in die falsche Richtung.

Beispiel: Der Wunsch nach Schmerzfreiheit hat zu einem gigantischen Konsum von Schmerztabletten geführt. Das immaterielle Bedürfnis nach Schmerzfreiheit wird heute zu einem großen Teil durch die materielle Lösung, durch Tabletten gelöst. Eine gelegentliche Einnahme von Tabletten löst das aktuelle Problem. Ein dauernder Konsum von Tabletten löst das Problem nicht: Denn der Schmerz hat eine Ursache, die durch die Tabletten nicht beseitigt wird. Im Gegenteil, die Nebenwirkungen von exzessivem Tablettenkonsum führen zu weiterem Stress.

Die Ursachen von Stress

Stress in unserem Leben hat zwei wichtige Ursachen: Probleme am Arbeitsplatz und in unserer Beziehung. Stress ist die Hauptursache für Unglück und mangelnde Lebensqualität. Wenn Unternehmer und Betriebsräte sich gemeinsam darum bemühen, den Stress am Arbeitsplatz zu reduzieren, dann entsteht dort weniger Stress.

Wenn Forscher dafür bezahlt werden, Stress am Arbeitsplatz zu reduzieren, dann werden immaterielle Lösungen für das Problem Stress geschaffen. Das gleiche gilt für unsere Beziehungen: Wenn Paare sich darum bemühen, die Ursachen für Stress in ihrer Beziehung zu reduzieren, dann bringt das für ihr gemeinsames Glück und das Glück ihrer Kinder mehr als noch mehr Konsum.

Man kann Stress reduzieren durch gute Gespräche, Yoga, Sport, Tanz: Das sind Beispiele für immaterielle Lösungen, die wenig materielle Ressourcen verbrauchen. Die Entwicklung, Produktion und Vermarktung von immaterielleren Lösungen ist Arbeit. Arbeit, die einen Mehrwert schafft und zum Bruttosozialprodukt beiträgt, gleichzeitig aber weniger schädliche Nebenwirkungen hat. Wir werden reicher, indem wir Probleme anderer Menschen lösen. Je besser wir sie lösen, desto mehr Mehrwert schaffen wir.  Je nützlicher wir für andere sind, desto mehr werden wir von ihnen geachtet. Und je weniger Ressourcen wir in diesem Prozess verbrauchen, desto besser ist die Lösung für unsere Kunden und für die Umwelt und damit für alle.

Der langfristige Trend zu immaterielleren Lösungen

Die Tendenz zu immaterielleren Lösungen in unserer Wirtschaft muss bewusst gefördert werden. Es geht also nicht darum Verzicht zu predigen, sondern Wege zur Erfüllung unsere Bedürfnisse mit immer weniger Ressourcen-Verbrauch aufzuzeigen. Ein Yoga-Kurs oder eine Akupunktur-Behandlung sind immateriellere Lösungen als die Produktion und der Konsum von Schmerztabletten. Das ist etwas holzschnittartig dargestellt, denn nicht alle Bedürfnisse lassen sich fast ohne Materialverbrauch lösen. Aber der Trend geht hin zu Lösungen, die immaterieller sind.

Wer Verzicht predigt, wird nur wenige Menschen überzeugen. Wer einen Weg aufzeigt, wie man Geld verdienen und gut leben kann, trotz weniger Ressourcen-Verbrauch, hat die Chance Unternehmer und Konsumenten gleichermaßen auf den richtigen Pfad zu locken. Und sie überzeugen können, dass Steuern, die einen Druck in diese Richtung erzeugen, erträglich und sogar wünschenswert sind.

Der Begriff  „qualitatives Wachstum“ wird oft verwendet, um zu verschleiern, dass die Herstellung umweltfreundlicherer Produkte allein noch keine Lösung ist, so lange immer mehr produziert wird. Erst durch die forcierte Tendenz zu immer immaterielleren Lösungen können wir die Kurve noch rechtzeitig hinbekommen.

Lieber Harald Welzer, dass Sie daraufhinweisen, dass wir als Gesellschaft uns nicht mit Scheinlösungen zufriedengeben dürfen, ist sehr wichtig. Oft ist weniger in der Tat mehr.

Vielen Dank für Ihren Ansatz, die Welt in der Rückschau aus der Zukunft zu betrachten: Was nützt uns ein größeres, schickeres, umweltfreundlicheres Auto heute, zurückblickend aus dem Jahr 2050 betrachtet? Wenn dann die Erde für uns oder unsere Kinder, für Pflanzen, Insekten und Vögel, für alle lebensfeindlicher und unwirtlicher geworden ist? Was muss jetzt getan und unterlassen werden, damit wir die Kurve noch hinbekommen?

Herzliche Grüße

Dr. Christiane Monshausen  und Jörg Lüttgau

Schreibe einen Kommentar